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Audio - Experimente

Christian Möller

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Der Blindgeborene, dem man im jugendlichen Alter durch eine Augenoperation sein Augenlicht wieder gab, sah nur weißes Rauschen. Was er sah, war ein Bild der Welt in einer totalen Komplexität, da ihm jegliches Vermögen fehlte, während des Donnerwetters der auf ihn einprasselnden Lichtblitze sich eine Brücke in die ihm nur durch Tasten und Hören bekannte Welt der Dinge zu bauen. Er schloß die Augen, um dem Lärm aus Licht zu entgehen und wünschte sich zurück in die Welt, wie sie vorher war. Wie sich eine solche visuelle Maximal-Orchestrierung im Bild darstellen mag, können trainierte Seher nicht erfahren. Einer künstlich erzeugten Bildwelt undekodierbarer Information wird man sich aber bestimmt nicht übergebührlich lange aussetzen wollen.

Mit unserer akustischen Wahrnehmung geraten wir häufiger in für uns chaotische Szenarien. Hier koppelt man den Begriff Lärm an nahezu alle akustischen Signale, für die man sich gerade nicht interessiert. Lärm empfinden wir als unangenehm. Daß die Lautstärke hinsichtlich der Erträglichkeit von Lärm eine große Rolle spielt, bedarf keiner besonderen Erklärung. Interessanter ist der Blick auf die Rolle der Komplexität im Spiel uns umgebenden Lärmes. Widersinnigerweise wird innerhalb einer aus sehr vielen verschiedenen Geräuschen bestehenden Audiostruktur mit Zunahme der Komplexität das Ereignis erträglicher. Nicht, daß es schön wäre, zwanzig verschiedene Radiosender zeitgleich im gleichen Raum hören zu müssen, aber mit Sicherheit wären zwanzig leichter zu ertragen als drei. Im Zustand der Nichtaufmerksamkeit wirkt Komplexität versöhnlich.




Der Licht- und Audiopark ist eine Großinstallation, die anläßlich des Sommerfestivals 1995 im Museumspark in Rotterdam ausgestellt wurde. Innerhalb einer riesigen 3D-Licht- und Klangskulptur können die Besucher eine Geräuschkollage selbst generieren. Ein ca. 80m x 80m großer Holzfußboden beschreibt die Interaktionsfläche und wird von acht 12m hohen Lautsprechertürmen umstanden. Insgesamt 96 Flugzeugscheinwerfer, die an den oberen Turmenden befestigt sind, bescheinen in den Holzfußboden eingelassene Fotoresistoren. Diese Lichtsensoren sind über ein spezielles für diese Installation entwickeltes Interface mit einem Computersystem verbunden. Sie übertragen die sich im Schattenspiel der Besucher verändernden, auf den Boden treffenden Lichtintensitäten als Parameter für die Reaktionen an das Audiosystem. Aus einer Vielzahl gleichzeitig dem System anliegender Radiokanäle erzeugt sich eine dem Rauschen ähnliche Klangkulisse, gemischt mit vorkomponierten Einzelklängen. Über einen aufwendigen 3D-Audioprozessor können die Besucher die aktuell übertragenen Klangelemente im Park räumlich verschieben (sortieren) und so die Differenzierbarkeit variieren: Ein Park als ein einziger riesiger Gettoblaster, der zeitgleich alle verfügbaren Sendungen empfängt und in Form einer von den Besuchern balancierten Klang-Choreografie überträgt.




Die Grundidee für diese Licht- und Klangskulptur basiert auf einem Ballettstück, daß 1994 in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Theater am Turm unter dem Titel Electro Clips (Abb. 3+4) entstand. Electro Clips ist eine Installation, die es Tänzern ermöglicht, mit den Elementen Licht und Ton unmittelbar zu interagieren. Die visuellen und akustischen Zeichen, die das Ballett üblicherweise als vorgegebene benutzt, werden in Electro Clips von dem Tänzer, Stephen Galloway, seiner Bewegung und Choreographie selbst herbeigeführt und beeinflußt. Der Tänzer übernimmt die Stelle des Dirigenten, indem er die wechselnden Funktionen der im Bühennraum verteilten Sensoren zur Manipulation von Klang und Licht wie eine Klaviatur gebrauchen kann. Auch hier werden die veränderlichen Licht- und Schatten-Kompositionen, die im Bewegungsablauf des Tänzers entstehen, sobald er in die Lichtkegel eintritt, als Information für das Erzeugen eines musikalischen Ergebnisses verwendet. Das Zusammenspiel der von dem bekannten Ambient-Komponisten Pete Namlook hergestellten Klangelemente entspricht einer ständigen Maximal-Orchestrierung. Die Soundtracks sind mit Einzelstimmen, Textclustern und rhythmischen Elementen belegt. Das Klangergebnis während der Performance ist die jeweilige, vom Tänzer interaktiv vorgenommene Selektion aus der laufenden Maximal-Orchestrierung.








Anknüpfend an die eingangs erwähnte versönliche Wirkung von Komplexität, die uns das Ereignis Lärm erträglicher macht, sind wir inzwischen darauf konditioniert, komplexere akustische Umgebungen gar nicht erst durchdringen zu wollen. Um so erstaunlicher geraten wir im Alltag gelegentlich in Situationen, in denen unsere Wahrnehmung sehr eindrucksvoll das Gegenteil praktiziert. Einer der hier interessantesten Filtereffekte, die wir aus unserem täglichen Leben kennen, ist als Phänomen in der Wahrnehmungspsychologie u.a. als der Partyeffekt bekannt. Der Partyeffekt beschreibt die bekannte Situation, in der eine große Gruppe von Menschen zeitgleich in einem Raum durcheinanderredet, sprich Konversation betreibt. Wird einer der Gäste aufmerksam, da er seinen Namen im Gesprächskontext einer anderen Konversation heraushört, kann er selbst große räumliche Distanzen überbrücken, er bekommt das berühmte Rhabarberohr, um aus dem gleichförmigen Rauschen des Stimmengewirrs die für ihn relevante Information herauszufiltern. Diese Elastizität im individuellen Einstellen von Aufmerksamkeit ist eine natürliche Fähigkeit höher entwickelter Lebewesen, die der Wissenschaft um das Schaffen von Maschinen-Intelligenz immer wieder signalisiert, wie hoffnungslos diffizil solche Filter auf ihrer höchsten Stufe sein können.

Für den Meschen in unserer heutigen Gesellschaft, sofern er sich nicht durch ein besonderes Training qualifiziert, ist diese Fähigkeit weitgehend auf das Filtern von Sprache reduziert, da das Erkennen und Deuten die Voraussetzung für diesen Differenzierungsvorgang darstellt. Um in einem Konzert Klangelemente oder einzelne Instrumente aus einer vielstimmig vorgetragenen Partitur auszudifferenzieren, braucht es neben einem guten Gehör sehr viel Übung. Im Unterschied zum Rauschen beim Partyeffekt ist das akustische Gesamtergebnis eines Konzerts qualitätvoll strukturiert und damit in viel stärkerem Maße aufmerksamkeitsbindend. Die Charakteristik des Einzelinstrumentes ist dem Nichtmusiker weniger bekannt und sein Bemühen, ein Instrument aus dem Orchester akustisch zu isolieren, scheitert an fortwährender Ablenkung. Erst durch die Möglichkeit, die Eindringlichkeit einzelner Instrumente innerhalb der aktuellen Orchesterdichte zu variieren, kann sich ein Zuhörer an die Charakteristik eines bestimmten Instruments gewöhnen, um es im Zusammenspiel mit den anderen aus dem Konzert herauszuhören. Die naheliegenste Art und Weise, die Intensität einzelner Instrumente im Konzert variieren zu können, wäre, zwischen den Musikern umherzulaufen, um so mit Hilfe des räumlichen Orientierungsvermögen die Klangkomponenten ausdifferenzieren zu können.









Dieser einfache, aber in der realen Situation unpraktikable, Weg wird in der Installation Die begehbaren Partituren in Form einer Computersimulation als Beitrag zur Austellung Botschaft der Musik vom Kusthistorischen Museum, Wien in Zusammenarbeit mit Wilfried Seipel beschritten. Besucher können per Kopfhörer und Monitor einen virtuellen Raum sowohl visuell als auch akustisch zu erfahren, in dem sich die Kammermusiker scheinbar im Konzert befinden. Die Proportionen des virtuellen Raumes entsprechen der realen baulichen Umgebung des Ausstellungsortes im Museum. Der Besucher betritt den simulierten Raum mit Hilfe eines 3D-Sensors, der dem Kopf des Besuchers im virtuellen Raum entspricht. Der Besucher hört die Musiker so, als befände er sich an genau der Stelle im Raum, die er mit Hilfe des Sensors eingenommen hat. Dieser Effekt ist mit normaler Stereophonie nicht vergleichbar, da sich die klangliche Umgebung in Intensität und Ort je nach aktueller Position des Betrachters im Raum verändert. Der Besucher kann genau unterscheiden, ob sich ein Geräusch oder Klang rechts oder links von ihm, über oder unter ihm, vor oder hinter ihm befindet. Hierbei werden eine Reihe mathematischer bzw. physikalischer Gesetze des menschlichen Hörens berücksichtigt. Steht eine Schallquelle nicht exakt in gleichem Abstand zu jedem Ohr, so erreicht der Schall ein Ohr früher als das andere. Wird z.B. das rechte Ohr zuerst erreicht, weiß der Mensch, daß die Schallquelle rechts von im steht. Ebenfalls Orientierung verschafft die Tatsache, daß, je nach Position einer Schallquelle, der Schall mit spezieller Charakteristik an der Ohrmuschel reflektiert wird. Bei der Übertragung von Schall in Luft werden die hochfrequenten Teile eines Klangs schneller abgeschwächt als die Tiefen. Das menschliche Hirn kann durch diese feinen Unterschiede einer Schallquelle eine präzise Position im Raum zuweisen. Diesen und anderen physikalischen Bedingungen folgend simuliert das Computersystem dem Besucher einen digitalen Ort, der ihm erlaubt, sich zwischen den virtuellen Musikern umherzubewegen und sein Ohr bestimmten Instrumenten zuzuwenden.








Ein anderes aber nicht weniger interessantes Betätigungsfeld im Umgang mit Audio liegt im hörbar machen des normalerweise nicht Hörbaren. Im Jahr 1991 entstand der Installationsaufbau The Sound of the Growing Grass. Es handelt sich um den bewußt etwas vermessenen Versuch, mittels spezieller Kontaktmikrofone einer auf einem Hohlkörper gepflanzten Grasnarbe das Geräusch des wachsenden Grases zu entlocken. Angeregt wurde diese Arbeit von einer historischen Zeichnung, auf der es um die steinerden Sitzgelegenheiten in antiken römischen Gärten ging. Der marmorne Sessel in diesem Garten hatte als Sitzpolster einen grasähnlichen Kräuterbewuchs, der, glaubt man der Beschreibung, bei Druck ätherische Düfte abzusondern in der Lage war. Fasziniert von solch luxiuriösem, antikem Gedanken und den Samplings des amerikanischen Experimental-Komponisten David Dunn enstand das Bestreben: Architektur im Sinne des Wortes zur Sprache zu bringen.The Sound of the Growing Grass zeichnet ein Bild über den Wunsch, Materialien und Konstruktionen über das uns gewohnte Spektrum sinnlicher Wahrnehmung hinaus zu artikulieren.

Nicht immer sind die klanglichen Potentiale innerhalb einer Aufgabenstellung nur eine Frage der richtigen Verstärkungstechnologie. Sowenig einem beim Fokussieren auf ein mathematisches Detailproblem ein Mikroskop helfen kann, sowenig stellt sich beim akustischen Artikulieren von beispielsweise der Durchbiegung eines Stahlträgers die Frage nach dem geeigneten Mikrofon. Ist der Klang dem Wesen des zu artikulierenden Objekts nicht immanent, muß man ihn künstlich herstellen, um ihn dem Kontext applizieren zu können. Ein sehr anschauliches und von der Aufgabenstellung sehr angewandtes Beispiel entstand 1995 unter dem Titel Das akustisch erfahrbare Notenblatt in Zusammenarbeit mit Elsa Prochazka für das Figarohaus in Wien.










Für die meisten Ausstellungsbesucher der Mozartgedenkstätte in Wien sind die, wenn auch im Orginal ausgestellten, Notenskizzen weniger interessant als die von Mozart verfassten Briefe und Notizen, da sich die Notenblätter dem Nichtnotenleser in ihrem Inhalt nicht erschließen. In einem kleinen und wenig technisch anmutenden Aufbau wird diese Problemstellung zum Thema gemacht. Die Installation besteht aus einer analog-kapazitiven Glasoberfläche, hinter der das Orginal-Notenblatt der ‘Fuge für Klavier, op. 154’ wie in einem ganz gewöhnlichen Bilderrahmen ausgestellt ist. Berührt nun der Betrachter die Notenskizze an einer beliebigen Stelle, wird von einem eigens für diese Installation entwickelten Sequenzer die selektierte Note elektro-akustisch übertragen. Auf diese Weise ist der Betrachter in der Lage, den Notenzeilen mit dem Finger entlang zu fahren und die Partitur abzuspielen. Die Geschwindigkeit, mit der er über das Notenblatt fährt, entspricht dem Tempo der Übertragung, sprich seiner ‘Lesegeschwindigkeit’.

In: Architecture Music edited by Roland Ritter and Michael Haberz, HDA Dokumente zur Architektur 8, ISBN 3-901174-26-5, Juni 97, Graz, Austria